Anfang März haben deutsche Ministerien den Regierungsentwurf eines Sorgfaltspflichtengesetzes (aka Lieferkettengesetz) veröffentlicht, der nun noch vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden muss. In diesem Gastbeitrag erläutert Dr. Chris Bayer von Development International die Geschichte, Hintergründe und den Geltungsbereich des Gesetzes und zeigt auf, wie sich Unternehmen auf das bevorstehende Sorgfaltspflichtengesetz vorbereiten können.
Nach achtmonatigen Verhandlungen verkündeten am 12. Februar 2021 drei deutsche Minister – Vertreter:innen des Ministeriums für Arbeit und Soziales, des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und des Wirtschaftsministeriums – , dass sie sich auf ein Gesetz zur verpflichtenden Sorgfaltspflicht in Lieferketten (#lieferkettengesetz, #sorgfaltspflichtengesetz) geeinigt haben.
Der Regierungsentwurf vom 1. März 2021, der an den Bundestag geschickt werden soll, ist nun veröffentlicht. Aber die Uhr tickt: Der Bundestag hat nur noch wenige Monate Zeit, ihn zu verabschieden, bevor es in die Sommerpause geht (25. Juni 2021). Da im September Bundestagswahlen anstehen, werden die nächsten Monate entscheidend sein.
Angesichts der Tatsache, dass die Bundesregierung nach der unzureichenden unternehmerischen Umsetzung des Nationalen Aktionsplans 2016 entschlossen handeln wollte, wie werden die Schrauben angezogen? Und wie können sich Unternehmen auf das neue Gesetz vorbereiten?
Der deutsche Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) von 2016 beschreibt die Erwartungen an die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen. Während der NAP von einem freiwilligen Engagement der Unternehmen ausging, sah er vor, dass weitere gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen würden, wenn weniger als 50 % der deutschen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten bis 2020 Sorgfaltspflichtsysteme implementieren würden. Die quantitative Umfrage der Regierung für das Jahr 2020 – bei der sich nur 455 der 2250 kontaktierten Unternehmen die Mühe machten, gültige Antworten zurückzusenden – ergab, dass nur 13-17 % der Befragten die Kernelemente der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte angemessen umgesetzt hatten, und dass 10-12 % als auf dem Weg dorthin angesehen wurden.
Die Minister kamen zu dem Schluss, dass die meisten deutschen Großunternehmen die im Nationalen Aktionsplan von 2016 formulierten Erwartungen nicht freiwillig erfüllt haben. Deshalb werden sie jetzt verbindlich gemacht. Die Minister haben also gehandelt und damit ihr Versprechen eingelöst. Diese Erkenntnis war der Auslöser für die Erarbeitung eines Gesetzes zur verpflichtenden Sorgfaltspflicht.
Der primäre Zweck des vorgeschlagenen neuen Gesetzes ist die Einführung einer unternehmerischen Sorgfaltspflicht, die dem Schutz der Menschenrechte und der Einhaltung von Umweltstandards dienen soll. Zu diesem Zweck orientiert sich das Gesetz eng an der Sorgfaltspflicht, wie sie in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte beschrieben ist.
Das Gesetz sieht vor, dass deutsche Unternehmen ab einer bestimmten Größe eine menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflicht im eigenen Betrieb und bei unmittelbaren Zulieferern durchführen müssen, die unter anderem die Durchführung von Risikoanalysen und die Behebung von Mängeln beinhaltet. Das Gesetz hat einen gestaffelten Geltungsbereich: Es tritt am 1. Januar 2023 in Kraft, wobei es zunächst für rund 600 deutsche Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten gilt. Ab dem 1. Januar 2024 gilt das Gesetz dann auch für Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten, was derzeit ca. 2900 Unternehmen entspricht.
Ein Streitpunkt zwischen den drei deutschen Ministerien war die Frage, wie weit die Sorgfaltspflicht in die Lieferkette reichen sollte. Während das eine Lager darauf bestand, dass die Sorgfaltspflicht bei Tier 1 enden sollte, befürchtete das andere Lager, dass sich Unternehmen leicht der Verantwortung entziehen könnten, indem sie einfach die Bezeichnung ihrer Vertragsbeziehungen ändern. Der Kompromiss sieht vor, dass ein betroffenes Unternehmen rechenschaftspflichtig ist: (1) für die gesamte eigene Geschäftstätigkeit und die seiner direkten Zulieferer, d.h. derjenigen Zulieferer, mit denen es einen Vertrag abgeschlossen hat, und (2) anlassbezogen in der übrigen Lieferkette.
Nach den Ergebnissen der Risikoanalyse oder bei begründeten Beschwerden über bestimmte Glieder der Wertschöpfungskette werden Folgemaßnahmen eingeleitet, die die Sorgfaltspflicht auslösen. Das gegebene Unternehmen muss dann Maßnahmen ergreifen, um negative Auswirkungen zu verhindern, zu minimieren oder zu beseitigen.
Der Vollzug soll durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erfolgen, das auch für die Überwachung der Einfuhrbeschränkungen in das Land zuständig ist. Die Überwachung der betroffenen Unternehmen soll unter anderem durch Einsichtnahme in die Dokumentation, Vor-Ort-Prüfungen und die jährliche Vorlage von Risikoanalysen bei dieser Behörde erfolgen.
Unternehmen haben grundsätzlich eine Bemühens- bzw. Sorgfaltspflicht, die sich eng an das französische Sorgfaltspflichtengesetz anlehnt. Sie können vom BAFA nur dann haftbar gemacht werden, wenn der Schaden bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt vorhersehbar und vermeidbar gewesen wäre. Unternehmen haften nicht für Verstöße, wenn sie alles rechtlich Mögliche getan haben, um diese zu verhindern.
Die Agentur kann Bußgelder verhängen, die bis zu 10 % des Jahresumsatzes betragen können. Wenn die Agentur ein Bußgeld verhängt, wird sie alle Abhilfemaßnahmen berücksichtigen, die das Unternehmen bereits als Reaktion auf einen Verstoß geleistet hat. Die Bundesregierung wird die Bußgelder dann in wirtschafts- und menschenrechtsrelevante Zwecke investieren. Außerdem kann ein mit einem Bußgeld belegtes Unternehmen für bis zu drei Jahre von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden.
Auch Stakeholder sind eingeladen, eine Rolle zu spielen, wenn die Sorgfaltspflicht eines Unternehmens vermeintlich verletzt worden ist: Der neue Rechtsrahmen sieht vor, dass Gewerkschaften und NGOs als Rechtsvertreter von geschädigten Klägern fungieren können – d.h. Opfer können NGOs und Gewerkschaften eine Vollmacht erteilen, um sich vor einem deutschen Gericht formell vertreten zu lassen.
Die Rechenschaftspflicht wird durch die Anforderung, dass die betroffenen Unternehmen einen Jahresbericht zu veröffentlichen haben, weiter verstärkt.
Unternehmen haben in der Tat eine Reihe von Optionen zur Verfügung, um den (potenziell) negativen Auswirkungen effektiv zu begegnen, unabhängig davon, ob ein bestimmtes Risiko eingetreten ist oder nicht. Einige Unternehmen nehmen die legislativen Megatrends zum Anlass, bestimmte Geschäftsmodelle oder das Design von Produkten zu überdenken.
Um sich auf dieses bevorstehende Gesetz vorzubereiten, können Compliance-Abteilungen in Erwägung ziehen, auf der Grundlage ihrer jeweiligen Risikoanalyse Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskennzahlen in ihren Aufgabenbereich aufzunehmen. Eine solche Analyse liefert relevante Risiken und Schwachstellen je nach Branche und Beschaffungsprofil des Unternehmens. Wie im Gesetzentwurf angeführt, können die UN-Leitprinzipien und der NAP 2016 als relevante Rahmenwerke dienen.
In ähnlicher Weise können Unternehmen in Erwägung ziehen, ihren Verhaltenskodex für Lieferanten – und dessen Kommunikationswege – zu überarbeiten. Des Weiteren kann das Unternehmen erwägen, seinen Einfluss auf Lieferanten und Dienstleister zu nutzen, indem es seinerseits in Verträgen Klauseln verankert, die eine Sorgfaltspflicht fordern. Eine aktive Überwachung von Lieferanten und Dienstleistern ist danach ein Muss. So sind beispielsweise Audits und Stichproben unumgänglich. Hier könnte das Prinzip “Befähigung vor Rückzug” die Vorgehensweise eines Unternehmens strukturieren, wobei die Beendigung des Geschäfts nur als allerletzte Option (ultima ratio) eingesetzt werden sollte. Ein Unternehmen könnte Lieferanten/Anbieter auf der Grundlage seiner eigenen Anforderungen für sein Tier-1-Engagement beurteilen. Künftige Lieferanten/Anbieter können vor ihrem Onboarding ebenfalls anhand relevanter Kriterien beurteilt werden.
Entwicklungsminister Gerd Müller argumentiert, dass dieses Gesetz den fairen Wettbewerb fördern wird und glaubt, dass Deutschlands “öko-soziales Wirtschaftsmodell Vorbild für eine globale Wirtschaft sein” kann. In der Tat sieht es sehr danach aus, dass Kernaspekte des deutschen Gesetzes, einschließlich der Art der Haftung, auch in der bevorstehenden EU-Gesetzgebung zur Sorgfaltspflicht eine zentrale Rolle spielen werden.
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