Erfolgsfaktor für Ökobilanzen (Life Cycle Assessment, LCA): Daten, Daten und nochmals Daten

Erfolgsfaktor für Ökobilanzen (Life Cycle Assessment, LCA): Daten, Daten und nochmals Daten

Wenn Sie planen, erstmals eine Ökobilanz zu erstellen, war vermutlich die folgende Management-Weisheit einer der Ausgangspunkte: „Man kann nur managen, was man messen kann“. Ihr Ziel ist es folglich, die ökologischen Auswirkungen Ihres Unternehmens oder eines oder mehrerer Ihrer Produkte zu quantifizieren, um dann effektive Managementstrategien zu entwickeln, die diese Auswirkungen reduzieren. Inzwischen nutzen Unternehmen ein ganzes Spektrum ökologischer Verfahren, wie etwa die Ökobilanz (Life Cycle Assessment, LCA), Materialflusskostenrechnung (Material Flow Cost Accounting, MFCA), die Bewertung des CO2– oder Wasser-Fußabdrucks, die Messung und Überwachung der Umweltleistung sowie Stoff- und Energieflussanalysen im Allgemeinen.

Die Durchführung solcher Analysen kann anfangs eine echte Herausforderung darstellen, selbst, wenn sie mithilfe spezialisierter und professioneller Software-Tools erfolgt. Wenn Sie nicht völlig bei null anfangen möchten, sind professionelle Software-Tools sehr hilfreich, um bei der Anpassung an die eigenen Produkte und Verfahren eines Unternehmens von der Expertise und dem Wissen anderer zu profitieren. Die Erfahrung hat gezeigt, dass zu Beginn der LCA 10 – 20 % des Arbeitsaufwands der Nutzer auf die Erstellung eines Lebenszyklus-Modells des Produktionssystems entfallen, während die restlichen 80 – 90 % der Zeit verwendet werden, um Daten zu sammeln, zu finden, zu identifizieren und zu validieren.

Was bedeutet dies nun?
Nachdem das Ziel und der Rahmen für Ihr LCA-Projekt festgelegt wurden, beginnen Sie mit der Identifizierung der Prozesse, die zum Kern Ihres Systems gehören, bzw. im Vordergrund stehen. Für diese Prozesse ist es erforderlich, oder es wird zumindest empfohlen, überwiegend Primärdaten aus dem Produktionssystem zu verwenden. Bei Ziel- und Rahmenbedingungen, die die Identifizierung von Reduzierungs- und Verbesserungspotentialen innerhalb eines bestimmten Produkt- und Servicesystems beinhalten, sollten primäre und spezifische Prozessdaten immer sekundären oder generischen Daten gegenüber bevorzugt werden.

Alle LCA-Praktiker werden zustimmen, dass es immer irgendwo Grenzen für die Erhebung von und den Zugriff auf Primärdaten für ein Lebenszyklus-Modell gibt. Dies gilt insbesondere für Daten aus Lebenszyklusphasen, die nicht der operativen Kontrolle der Organisation unterstellt sind, die das LCA-Projekt erstmalig initiiert hat, z. B. Lieferanten oder nachgelagerte Aktivitäten, die nach der Nutzungsphase auftreten, wie etwa Entsorgung oder Recycling. Eine Möglichkeit Sekundärdaten zu erhalten, besteht darin, bei Zulieferern oder Entsorgungsdienstleistern Sachbilanz-Daten der jeweiligen Produkte und Services, die am Lebenszyklus eines Produktes beteiligt sind, anzufragen. Bei diesem Ansatz bleiben jedoch Datenlücken, da nicht jeder Partner in der Wertschöpfungskette diese Daten auch bereitstellen kann oder will. Um diese verbleibenden Datenlücken zu schließen, werden Ökobilanzdatenbanken – meist LCA-Datenbanken genannt – zur wichtigsten Datenquelle. Um die Begriffe „LCI-Datenbank“ und „LCA-Datenbank“ noch etwas voneinander abzugrenzen, unterscheidet man folgendermaßen: LCI-Datenbanken enthalten Sachbilanzdaten, während LCA-Datenbanken außerdem Methoden zur Bewertung der ökologischen Auswirkungen enthalten. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff LCA-Datenbank häufiger verwendet, ohne dabei jedoch diese Unterscheidung ganz genau zu nehmen.

LCI-Datenbanken enthalten Daten, über die mit einer bestimmten Komponente, einem Prozess oder einem Produkt in Zusammenhang stehenden Energie-, Material- und Emissionsflüsse. Diese Daten erlauben es LCA-Praktikern in Industrie und Forschung, die Lücken in ihren eigenen Bestandsaufnahmen zu füllen. Insbesondere bei Forschungsprojekten, an denen kein konkretes Unternehmen beteiligt ist und der Zugang zu Primärdaten noch früher an Grenzen stößt, ermöglicht dies den Forschern, Modelle von Grund auf zu befüllen. Auch die Nutzung von hauptsächlich generischen Daten im Anfangsstadium der Erstellung eines Lebenszyklus-Modells kann hilfreich sein, wenn es darum geht, die richtigen Prioritäten für die Erhebung der Daten zu setzen und so zu vermeiden, dass die detailliertesten und genauesten Daten für die am wenigsten relevanten Prozesse des Lebenszyklus-Modells erhoben werden. Es ist ein breitgefächertes Spektrum an LCI- und LCA-Datenbanken auf dem Markt verfügbar.

LCI-Datenbanken sind als internationale, regionale oder nationale Sammlungen von Datensätzen erhältlich. Es gibt eine ganze Reihe regionaler und nationaler Datenbanken wie z. B. USLCI, European Life-Cycle Database (ELCD) oder die australische Variante (AusLCI). Diese Optionen können ausreichend sein, wenn die komplette Wertschöpfungskette eines Unternehmens (Prozesse, Produkte, Komponenten) in einem einzigen Land stattfindet. Da die Wertschöpfungsketten jedoch vorwiegend grenzüberschreitend und global durchlaufen werden, ist es eher unwahrscheinlich, dass alle in der Herstellung eines Produkts verwendeten Komponenten aus einem einzigen Land stammen. Um die regionalen Unterschiede über die Wertschöpfungskette transparent und umfassend zu ermitteln, empfiehlt es sich, einen regionsspezifischen LCI-Datensatz zu verwenden; diesen findet man entweder in globalen Datenbanken, die eine große Bandbreite von Regionen abdecken, oder aber in regionalen oder lokalen Datenbanken.

Es gibt zwei bedeutende marktführende internationale LCA-Datenbanken: ecoinvent und GaBi, die beide bestrebt sind, immer mehr Regionen abzudecken, teils durch die Integrierung regionaler Datenbanken und teils indem sie in die gemeinsame Datenerfassung mit regionalen Partnern investieren. Es gibt zwei Gründe für diese Bemühungen:

  1. Um der Nachfrage nach regionalisierten Daten seitens aufstrebender LC-Communities rund um den Globus gerecht zu werden.
  2. Um die Nachfrage nach regionalisierten Daten seitens Industrien mit global operierenden Wertschöpfungsketten zu erfüllen.

Bei ifu Hamburg arbeiten wir mit beiden Datenbanken: ecoinvent v3.2 (mit immer noch möglichem Zugriff auf ecoinvent 2.2) kann mit den LCA-Software-Paketen Umberto NXT LCA und Umberto NXT Universal verwendet werden; und GaBi Professional mit zusätzlich mehr als 20 weiteren verfügbaren GaBi-Zusatzdatenbanken ebenso.

Wie können Sie nun entscheiden, welches die richtige Datenbank für Ihr Ökobilanzvorhaben ist?

Sowohl die Datenbanken von ecoinvent als auch die von GaBi sind marktführende, international anerkannte LCA-Datenbanken – beide sind also durchaus empfehlenswert. Ihre Wahl hängt damit von der von Ihnen gewünschten Anwendung, den für Ihre Prozesse erforderlichen, besonderen Datenanforderungen sowie Ihrer (gegebenenfalls) bisher verwendeten Datenbank ab. Auch wenn sich beide in ihren Leistungsmerkmalen und Stärken sehr ähnlich sind, ist es sinnvoll, die wichtigsten Punkte kurz zu skizzieren – dies kann den Ausschlag dafür geben, welches die für Sie am besten geeignete LCA-Datenbank ist. Worin bestehen die Gemeinsamkeiten?

  • Relevanz: Beide Datenbanken bieten das umfassendste Angebot von LCI-Datensätzen auf dem Gebiet der Ökobilanz. ecoinvent ist aktuell mit seiner dritten Version mit über 10.300 LCI-Datensätzen auf dem Markt; GaBi verfügt über mehr als 8.000 Profile von Materialien und Prozessen. Beide decken die relevanten Bereiche größtenteils ab, darunter Energieversorgung, Landwirtschaft, Transport, Biokraftstoffe und Biomaterialien, Grund- und Spezialchemikalien, Bau- und Holzwirtschaft und Abfallverwertung. Beide bieten Zugriff auf gängige und aktuelle Methoden der Wirkungsabschätzung (Life Cycle Impact Assessment, LCIA).
  • Aktualität: Die Datenbanken von ecoinvent und GaBi werden beide jährlich (mit neuen oder verbesserten Daten) aktualisiert; es stehen Daten zum Strom-Mix unterschiedlicher Länder und Regionen, Technik und Lieferketten zur Verfügung.
  •  Datenqualität: Beide liefern qualitativ hochwertige Datensätze, die anhand profesioneller Datenerfassung zusammengestellt wurden. ecoinvent erhält kontinuierlich Daten von internationalen Forschungsinstituten und LCA-Consultants, die das Unternehmen auch von diesen überprüfen lässt; die Datenbanken von GaBi werden fortlaufend von dem globalen Prüfunternehmen DEKRA überprüft.
  • Global/international: Beide bieten umfangreiche globale sowie regionale Datensätze, die den Anwendern ermöglichen, die in ihren Flussmodellen enthaltenen Wertschöpfungsketten genauer zu reflektieren. Das Konzept der globalen Wertschöpfungskette ermöglicht diesen Datenbanken, ein breites Spektrum von Märkten und Produkten abzudecken.

Wie Sie sehen, sind sich beide Datenbanken was ihre wichtigsten Leistungsmerkmale und Stärken angeht, sehr ähnlich. Was unterscheidet sie voneinander?

  • Einheitsprozessdaten vs. Systemprozessdaten: ecoinvent liefert sowohl Daten auf Einheitsprozessebene (UPR) als auch auf Ebene des Systemprozesses (LCI/Result), d. h. falls erforderlich, kann der Benutzer die Prozesskette eines Produkts in deren untergeordnete Einheiten aufsplitten. Die meisten der in der GaBi-Datenbank enthaltenen Datensätze werden als aggregierte Prozessdaten zur Verfügung gestellt (ohne die Möglichkeit, diese durch den Benutzer wieder separat aufzuschlüsseln).
  • Systemmodelle: Bei ecoinvent 3 werden die Datensätze in Form von 3 unterschiedlichen Systemmodellen geliefert: dem Consequential- dem Cut-Off- und dem Allocation at the Point of Substitution (APOS)-Model. Die unterschiedlichen Systeme unterstützen verschiedene Zielsetzungen und Rahmenbedingungen für eine LCA-Studie. In der GaBi Datenbank gibt es keine Unterscheidung zwischen verschiedenen Systemmodellen.
  • Sektorspezifische Erweiterungen: ein Unterscheidungsmerkmal der GaBi-Datenbanken sind die sektorspezifischen GaBi-Erweiterungs-Datenpakete – eine wichtige Option für LCA-Praktiker, da sie damit in einigen Industriesektoren ein breiteres Spektrum an spezifischen Daten abdecken. Zusätzlich bietet das GaBi-Content-Team auch an, Datensätze neu zu erstellen.
  • Schnellere Updates über Methoden zur Wirkungsabschätzung (LCIA): Beobachtungen aus den letzten Jahren haben gezeigt, dass die Macher der GaBi-Datenbank schneller sind, wenn es darum geht, die aktuellsten Entwicklungen im Bereich der LCIA-Methoden bereitzustellen.

Um einen besseren Einblick in den Inhalt der Datenbank zu erhalten, die Sie als Ihre Haupt-LCI-Datenbank wählen wollen, bieten beide Datenbank-Anbieter an, deren Inhalt kostenlos online zu durchsuchen. Den Inhalt der GaBi-Datenbank können Sie über die GaBi Datenbanksuche direkt online durchsuchen, ohne sich vorher anzumelden. Bei ecoinvent müssen Sie sich zuerst als Gast registrieren und erhalten dann Zugriff auf die Suche über Metainformationen. Es ist mittlerweile gängige Praxis geworden, entweder GaBi oder ecoinvent als Haupt-Datenbank auszuwählen und sie dann im Fall eventuell verbliebener Datenlücken durch die jeweils andere Datenbank zu ergänzen. In Umberto NXT LCA und Universal können sowohl die Datenbanken von ecoinvent v3 als auch die von GaBi parallel verwendet werden. Dies gibt den Anwendern die Freiheit, von Fall zu Fall, je nach ihren speziellen Anforderungen, die für ihn am besten geeignete Datenbank auszuwählen.

Die wichtigste Frage jedoch, die es zu beantworten gilt, wenn Sie sich entscheiden müssen, welche Daten Sie in einem LCA-Projekt verwenden wollen, ist: Sind die Daten, die ich verwende „zweckmäßig“? Zielsetzung und Rahmen oder kurz gesagt: der „Zweck“ kann nämlich durchaus unterschiedlich sein. Dies ist auch der Grund, warum wir bei ifu Hamburg keine einfache und schnelle Antwort auf die Frage „Welche ist die bessere Datenbank?“ geben. Wir möchten immer zuerst verstehen, worum es den Anwendern geht, bevor wir bei der Entscheidung für die eine oder die andere Datenbank beraten.

Was die Anwender von LCA-Datenbanken zukünftig bei GaBi und ecoinvent erwarten können, habe ich bei Dr. Martin Baitz von Thinkstep und bei Dr. Gregor Wernet von ecoinvent center nachfragt. Für ihre Bereitschaft meine Frage zu beantworten bedanke ich mich an dieser Stelle ganz herzlich.

Lesen Sie das Interview mit Dr. Martin Baitz, Direktor Content bei der Thinkstep AG oder lesen Sie das Interview mit Dr. Gregor Wernet, Executive Manager des Ecoinvent Center.

Was fehlt jetzt noch? Richtig, die Anwenderperspektive! Natürlich sollen auch Anwender von LCA-Datenbanken hier zu Wort kommen: Ich habe drei erfahrene Anwender von LCA Datenbanken gefragt, welche Erfahrungen, Tipps und Wünsche sie für Neuankömmlinge in der LCA-Community haben, wenn es um LCA Daten geht. Vielen Dank an Angela Fisher von GE in USA, Enrico Benetto vom LIST in Luxemburg und Gaël Fick von IRT-MP2 in Frankreich!

Lesen Sie die englischsprachigen Interviews mit drei erfahrenen LCA-Daten-Anwendern.

Ihre Kommentare, eigene Erfahrungen mit LCA-Daten und Fragen sind wie immer ausdrücklich erwünscht!

 

Bild: übernommen und bearbeited von https://chris.mutel.org/visualizing-ecoinvent.html

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